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    Radsport-Experte Jens Voigt analysiert bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris die Radrennen für Eurosport. Im Sports-Illustrated-Interview spricht er über die Goldfavoriten beim Straßenrennen und kritisiert die viel zu lange Strecke.

    Sports Illustrated: Die Radrennstrecke mit 288 Kilometern und 3000 Höhenmetern hinauf zum Montmartre mit Kopfsteinpflaster ist sehr anspruchsvoll. Was für ein Fahrertyp muss man sein, um in Paris eine Goldmedaille zu gewinnen?

    Jens Voigt: Wenn man bedenkt, dass nur 90 Fahrer am Start sind und 60 Fahrer davon Profis oder Halbprofis sind, werden wahrscheinlich einige Fahrer die Ziellinie nicht sehen. Zum einen ist die Strecke meiner Meinung nach viel zu lang, hinzu kommen die schlechte Luftqualität und die schwere Zielrunde zum Schluss.

    Also ich sehe nicht, wie viele Leute diese Strecke durchfahren wollen. Wir reden hier von einem sieben, acht Stunden Radrennen, das selbst für die Profis außergewöhnlich lang ist. 50 Kilometer weniger hätten es auch getan. Ich denke, damit haben sich die Organisatoren keinen Gefallen getan. 

    Was passiert, wenn die stärksten Fahrer gleich am Anfang davonziehen?

    Voigt: Wenn sich gleich zu Beginn 15 bis 20 Fahrer vom Hauptfeld absetzen, haben die anderen keine Chance mehr. Dann kommen die Favoriten mit einer Stunde Vorsprung ins Ziel und viele andere Fahrer dahinter hören auf. Ich finde das nicht gut durchdacht, denn die Strecke ist viel schwerer als man glaubt. 

    Gibt es einen Grund, warum die Strecke so lang ist?

    Voigt: Das kann ich nicht sagen. Es macht sportlich aber keinen Sinn. Klar, die Veranstalter können Paris beim Straßenrennen ausführlich zeigen, aber ich halte das für übertrieben. Zumal nicht jede Mannschaft acht völlig austrainierte Berufsfahrer am Start hat. Da sind auch Amateure dabei. Es ist sogar ein Fahrer aus Mauritius dabei. Bei aller Liebe und Respekt, aber da sehen einige Fahrer das Ziel nicht.  

    Welche Fahrer sind die Favoriten auf den Titel? 

    Voigt: Die schwere Strecke favorisiert Radprofis wie Tadej Pogačar, Mathieu van der Poel oder Remco Evenepoel. Wout van Aert befindet sich im Moment nicht in Bestform. Aber vielleicht ist er bei Olympia wieder bei einhundert Prozent. Am Ende wird es auf Pogačar, van der Poel und Evenepoel hinauslaufen. Ich denke, diese drei großen Namen werden das Rennen unter sich ausmachen.

    Sind die Topfahrer nach der Tour de France wieder 100 Prozent fit?

    Voigt: Ja und ein halbes Nein. Mathieu van der Poel hat das Mountainbike-Rennen abgesagt, weil er sich nur auf das Straßenrennen konzentriert will. Andere sagen deswegen das Zeitfahren ab. Die Tour de France wurde extra wegen Olympia nach vorne verlegt, damit die Tour zu Ende ist, bevor die Eröffnungsfeier losgeht. Aber auch aus dem Grund, dass die Fahrer genügend Zeit zur Regeneration haben. Das ist sehr gut geplant und wird kein Problem sein.

    Benötigt man aufgrund der Strecke, die an Radsport-Klassiker wie Paris-Roubaix erinnert, ein spezielles Fahrrad mit einem anderen Rahmen und anderen Rädern?

    Voigt: Nein, gar nicht. Die Fahrer, die von der Tour de France kommen, werden genau die gleichen Rennräder wie bei der Tour de France nutzen. Auch was den Reifendruck betrifft, wird es keine Veränderungen geben. Beim Rahmen und den Rädern wird ebenfalls alles gleich sein.

    Mit Maximilian Schachmann und Nils Politt starten am 3. August zwei Deutsche beim olympischen Straßenrennen. Wer hat die besseren Chancen?

    Voigt: Das ist eine interessante Frage. Nils musste bei der Tour de France viel arbeiten. Aber er hat ein unheimlich hohes Tempo und Stehvermögen. Der ist wie so ein Dieselmotor, der geht einfach nicht kaputt. Das ist ein Vorteil bei so einem langen Rennen wie bei Olympia. Max ist die Tour nicht gefahren und hat vielleicht ein bisschen mehr Frische in den Beinen. Aber tendenziell würde ich sagen, hat Nils bessere Chancen, weil der diese 3500 Kilometer durch Frankreich gefahren ist und im Moment mehr Rennerfahrung hat. Der kennt alle Fahrer auswendig.

    Beim Einzelzeitfahren knapp eine Woche zuvor ist nur Maximilian Schachmann am Start, obwohl Nils Politt deutscher Zeitfahrmeister ist. Warum?

    Voigt: Nils ist mit seiner Rennhärte besser beim Straßenrennen aufgehoben, weil er da seine Vorteile ausspielen kann. Das Zeitfahren ist nicht so lang. Da ist man wiederum besser dran, wenn man frische Beine und sich speziell darauf vorbereitet hat. Ich denke auch, dass es eine gute Entscheidung von Max war, sich in aller Ruhe auf das Zeitfahren vorzubereiten. Das ist sicherlich erfolgversprechender, auch wenn Nils deutscher Meister ist. Aber man muss auch sagen, dass beim Zeitfahren echte Spezialisten am Start sind. Eine Medaille bei dieser Konkurrenz wird sehr, sehr schwer.

    Letzter deutscher Olympiasieger im Straßenrennen war Jan Ullrich im Jahr 2000 in Sydney. Werden wir in Deutschland jemals wieder einen Fahrer seines Kalibers sehen?

    Voigt: Im Moment haben wir keinen Fahrer, der in der internationalen Spitze ganz vorne mitfahren kann. Mit Georg Steinhauser haben wir einen talentierten jungen Fahrer, aber er ist noch sehr jung. Uns fehlt auch eine Generation mit Sprintern wie Erik Zabel, Marcel Kittel oder André Greipel. Da haben wir im Moment keinen. Und uns fehlt ein Zeitfahrer wie Toni Martin, der immer eine Medaille holen kann. Wir haben eine Menge sehr gute Fahrer, die auch in ihren Mannschaften sehr, sehr beliebt und geachtet sind, weil sie echt gute, harte und wichtige Arbeit machen. Aber so ein Siegertyp, der ein Zeitfahren, einen Sprint, eine WM oder Olympia gewinnen kann, gibt es nicht.

    Von Dirk Adam

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